Konvoischlachten und Minenleger im Wattenmeer

Der Kampf um die Routen für die deutsche Konvoischifffahrt

Während des Zweiten Weltkrieges waren die Schifffahrtskanäle vor der niederländischen Küste eine wichtige Lebensader für die deutsche Kriegsindustrie. Jedes Jahr wurden zwei bis drei Millionen Tonnen Eisenerz aus Skandinavien in großen und streng bewachten Schiffskonvois nördlich der Watteninseln entlang zum Hafen von Rotterdam transportiert. So fuhren im Kriegsjahr 1943 998 Handelsschiffe mit insgesamt 2.119.466 Tonnen auf der Strecke Cuxhaven - Rotterdam. Wer an den Nordseestränden der Watteninseln spazieren geht, kann sehen, dass die gleichen Konvoirouten auch heute noch stark befahren werden.

 

Die Briten führten tagsüber und nachts aus der Luft und auf See einen heftigen Kampf, um diese Lebensader von Nazi-Deutschland zu durchtrennen. Frachtschiffe wurden direkt aus der Luft angegriffen, Minenfelder in den Fahrrinnen angelegt und die Konvois mit schnellen und agilen Angriffsschiffen attackiert.

Ein typischer Schiffskonvoi vor der niederländischen Küste, aufgenommen von einem Begleitschiff im Sommer 1942. Die beladenen Frachtschiffe fahren in der Mitte und werden von Flakschiffen eskortiert, um Luftangriffe von beiden Seiten abzuwehren. (Koll. Helmut Persch)

Die Luftangriffe begannen Anfang 1941, vor allem tagsüber, mit zweimotorigen Jagdbombern vom Typ Bristol Blenheim. Diese relativ langsamen und anfälligen Flugzeuge konnten kaum Erfolge erzielen und erlitten sehr schwere Verluste, sowohl durch die Flaks als auch durch deutsche Jagdflugzeuge. Zwischen März und Oktober 1941 wurden im niederländischen Wattenmeergebiet 57 Blenheims (mit 171 Besatzungsmitgliedern) abgeschossen und konnten die Blenheim-Crews nur neun Schiffe beschädigen bzw. versenken. Diese Tageslichtoperationen waren fast gleichbedeutend mit Selbstmord.

Ein Blenheim-Angriff auf einen Schiffskonvoi 1941.Während im Hintergrund eine Blenheim gerade von dem durch sie bombardierten Schiff abdreht, stürzt im Vordergrund eine angeschossene Blenheim ins Meer - und markiert damit das Seemannsgrab von drei jungen Fliegern. Dieses Foto wurde aus der Geschützkuppel auf dem Rumpf der dritten Blenheim aufgenommen. (Koll. Theo Boiten)

So führten die deutschen Begleitschiffe der Schiffskonvois 'Protokoll' über die abgeschossenen britischen Flugzeuge. Hier sehen wir die Brücke des Vp1304 im Frühjahr 1942, während der Umriss des siebten Sieges noch nachgezeichnet wird. (Koll. Dr. Werner Gast)

Ein zum Sinken gebrachtes Frachtschiff in der Konvoiroute entlang der niederländischen Küste. (Koll. Günther Diedrichs)

Von November 1941 bis Kriegsende wurden die Routen der Konvoischifffahrt entlang der Watteninseln zum Jagdrevier des Coastal Command, des Küstenkommandos der britischen Luftwaffe. Bis März 1943 waren etwa 60 Lockheed Hudson Patrouillenbomber in diesem Gebiet im Einsatz. Im Schutz der Nacht und bei schlechtem Wetter griffen sie die deutschen Konvois in Masthöhe an. Aber auch das erwies sich als erfolglos. 13 Schiffe wurden von ihnen im Wattenmeergebiet versenkt, 5 weitere beschädigt. Dem gegenüber stand jedoch der Verlust von 38 Hudsons und über 140 Fliegern. Die 407. kanadische Staffel erlitt dabei mit 18 Maschinen die schwersten Verluste. Einer der kanadischen Flieger, der bei einem Schiffsangriff umkam (am 20.-21. Januar 1943 bei Den Helder), war Bordschütze und Funker Pilot Officer Omer K. Middleton. 

 

Wenige Monate vor seinem Tod schrieb er in einem Brief an seine Schwester ausführlich über einen Konvoiangriff in der Nacht vom 15. auf den 16. Mai 1942, knapp über Terschelling:

 

„Bei diesem Angriff wurden wir von Hudsons einer niederländischen Staffel unterstützt, die auch nicht gerade Schlappschwänze sind. Neun unserer Flugzeuge starteten und bildeten eine Formation. So flogen wir um halb neun Richtung Osten. Es wurde schnell dunkel, doch die Sicht war gut. Die nächste Formation, bestehend aus drei Kanadiern und sechs Holländern, folgte uns kurze Zeit später.

 

Nach fast zwei Flugstunden sahen wir rechts von uns mehrere Explosionen. So wussten wir also, dass die andere Formation ihr Ziel gefunden hatte und den Angriff startete. Wir näherten uns der Stelle, an dem der Kampf schon in vollem Gange war. Ich dachte, ich hätte schon öfter das Abwehrfeuer eines deutschen Konvois gesehen, aber das übertraf wirklich alles. Während wir über die Küste von Terschelling flogen, kurz bevor wir zum Angriff übergingen, konnten wir wild durch das Flakfeuer fliegende Flugzeuge erkennen; sie sahen aus wie von der Tarantel gestochen. Sie flogen tief über dem Konvoi und machten wilde Fluchtbewegungen, bis sie außerhalb der Reichweite der Schiffsflaks waren. Regelmäßig verloren wir Flugzeuge durch die Intensität des Abwehrfeuers komplett aus den Augen.

Unsere Flugzeuge durchbrachen die Formation und tauchten mit Vollgas wie ein Haufen Geier in den Konvoi ein, quer durch das Flakfeuer hindurch

Nachdem die erste Angriffswelle ihre Bomben abgeworfen hatte, sahen wir an orangefarbenen Lichtblitzen, dass sie getroffen hatte. Ein Schiff brach in zwei Hälften und verschwand in den Wellen; ein anderes Schiff stand im Handumdrehen von vorne bis hinten in Flammen. Aus einem dritten Schiff drangen große schwarze Rauchwolken. Daraufhin sah ich, wie aus einer unserer Hudsons Flammen schlugen und sie im Meer explodierte. Unsere Flugzeuge durchbrachen die Formation und tauchten mit Vollgas wie ein Haufen Geier in den Konvoi ein, quer durch das Flakfeuer hindurch. Der Konvoi war eine lange Reihe von düster aussehenden schwarzen Schiffsrümpfen, die sich deutlich vom Himmel abhuben. Die glühenden Streifen der Leuchtspurmunition kamen jetzt auf uns zu, ohne an Intensität zu verlieren. Von meiner Position aus konnte ich die anderen Hudsons, die den Angriff ausführten, sehr gut sehen. Jede der Maschinen raste tief über das Wasser, wild manövrierend und verfolgt von überall um sie herum explodierenden Granaten. Eines unserer Flugzeuge, das sich inmitten des Geschehens befand, explodierte in einem Flammenmeer, als es über sein Ziel hinausschoss und stürzte ins Meer. Hinter den Flugzeugen sah ich orangefarbene Explosionen, Schiffe wurden brennend zurückgelassen.

Ich dachte: Das ist unser Ende, aber wir müssen weitermachen!

Ich hielt mich die ganze Zeit unbewusst an den Griffen unserer Maschine fest, weil der Pilot die Hudson wild durch die Luft schlingerte. Fasziniert beobachtete ich das Schauspiel um mich herum. Stell dir ein riesiges Feuerwerk vor, das angezündet wurde, vergrößere dieses Feuerwerk dann auf einen Umfang von anderthalb Kilometern und lass das ganze Spektakel eine halbe Stunde dauern. Ich kann es kaum in Worte fassen. Grüne und weiße Streifen Leuchtspurmunition webten sich hundertfach ineinander. Das Meer wurde von Granaten aufgepeitscht, die im Wasser explodierten, und Feuerbälle hingen wie böse Augen am Himmel. Und ich sah die Kanonen mit schwerem Kaliber rot aufleuchten, als sie schossen.

 

Meine Aufmerksamkeit richtete sich nun auf unser Ziel, dem wir uns schnell näherten. Im letzten Moment sahen wir einen Sperrballon über einem brennenden Schiff auftauchen und wichen scharf nach rechts aus. Nun konnten wir die Bomben nicht mehr richtig ausrichten und waren gezwungen umzudrehen und den Konvoi erneut anzufliegen. Ich dachte: „Das ist unser Ende, aber wir müssen weitermachen!“ Während wir den Konvoi also erneut anflogen, wich ein anderes Flugzeug etwa 50 Meter vor uns scharf aus. Erst dachten wir, es würde sich um eine unserer eigenen Hudsons handeln, aber der lange schlanke Rumpf, der sich vor einem brennenden Schiff abzeichnete, war von einer Messerschmitt 110, einem der Nachtjäger. Unser Pilot warf daraufhin schnell unsere Bomben ab, gab Vollgas und raste knapp unter der 110 hindurch, und weg waren wir. Der Deutsche verfolgte uns und schoss ein paar Mal, aber er konnte uns nicht richtig ins Visier bekommen und verlor uns schließlich aus den Augen.

 

Wir kehrten sicher zu unserem Stützpunkt zurück, als eines der beiden Flugzeuge, die das Glück hatten zurückzukehren. Alle anderen Hudsons waren schwer beschädigt und einige mussten notlanden. Wir hatten schwere Verluste zu verzeichnen und mehr als die Hälfte unserer Staffel verloren.“

Tief über dem Meeresspielgel fliegen zwei Hudsons in einer mondbeschienenen Nacht Patrouille entlang der niederländischen Küste. (Koll. Kim Abbott)

Ein mit Eisenerz beladener Frachter wird im Sommer 1943 vor der niederländischen Küste von einem Torpedo schwer getroffen und bekommt Schlagseite. Die Crew rudert zu einem Begleitschiff, von wo aus dieses Foto aufgenommen wurde. (Koll. Günther Diedrichs)

Erst im Laufe des Jahres 1943 bekamen die Briten die deutschen Schiffskonvois in den Griff. Damals wurde ein neues, leistungsfähiges Angriffsflugzeug an der Front eingesetzt, die Bristol Beaufighter. Mit diesem Flugzeug wurde auch das taktische Konzept des Strike Wing eingeführt. Bei dieser Taktik überwältigte eine eng geführte große Formation Beaufighter die Konvois mit zerstörerischer Feuerkraft.

Eine Torpedo-Beaufighter mit einem Mustang-Begleitjäger. (Koll. Harry Alderman)

Wing Commander Hugh Wheeler, ein Angriffsführer eines solchen Strike Wing erklärt: 

 

„Unsere Angriffe müssen eine niederschmetternde Erfahrung für die deutschen Schiffsbesatzungen gewesen sein. Nachdem ich das Signal zum Angriff gegeben hatte, tauchten drei Beaufighter auf ein Begleitschiff ab. Jede Beaufighter hatte vier Bomben, vier 20-mm-Kanonen und sechs Maschinengewehre. Die frontale Feuerkraft einer Beaufighter war so stark, dass es sich sensationell anfühlte, wenn man auf so ein feindliches Schiff abtauchte, während dieses mit allen Mitteln, die es hatte, zurückschoss. Die Begleitschiffe zogen oft den Kürzeren, da sie sich drei Beaufightern gleichzeitig gegenüber sahen. Wenn wir über die Schiffe hinweg rasten, warfen wir unsere Bomben ab. Traf unser Feuerkegel dann tatsächlich die Brücke eines Schiffes, wie es mir selbst einmal gelang, dann ging die gesamte Brücke mitsamt aller Besatzungsmitglieder über Bord.

 

Während der Beschuss der Begleitschiffe in vollem Gange war, begannen die Torpedo-Beaufighter ihren Angriff in niedriger Höhe, in der Hoffnung, dass wir das Abwehrfeuer der Begleitschiffe ausreichend unterdrückt hatten. Dann feuerten sie ihren Torpedo in der Nähe der Handelsschiffe ab und brachten diese Schiffe zum Sinken. Die Strike Wings kämpften eine der bittersten und blutigsten Schlachten des gesamten Krieges. Alles geschah in geringer Höhe und auf kurzer Distanz. Ein Angriff eines Beaufighter Wing war in etwa fünf Minuten vorbei, aber diese Minuten waren für alle die Hölle auf Erden.“

Ein ikonisches Foto vom Angriff eines Beaufighter Strike Wing.Am 25. August 1944 wurde der deutsche Minenräumer M347 im Huibert Gat nördlich von Schiermonnikoog angegriffen und versenkt. (Koll. Harry Alderman)

Zwischen April 1943 und August 1944 wurden zwischen Borkum und Texel etwa 38 Schiffe bei den verheerenden Strike Wing-Angriffen versenkt oder sehr schwer beschädigt, und Dutzende von anderen schwer beschädigt. Ab März 1944 fuhren die Deutschen zunehmend nachts an der Wattenmeerküste entlang, weil die Strike Wings ihre koordinierten Angriffe in der Nacht nicht ausführen konnten. Ab August 1944 fuhr tagsüber kein einziges Schiff mehr in diesem Gebiet. Der britische Sieg im Kampf um die Konvoirouten im Wattenmeer wurde zu einem hohen Preis errungen: 80 Beaufighter wurden in diesem Gebiet abgeschossen und mehr als 140 Flieger getötet.

 

Ab Herbst 1942 waren im Wattenmeergebiet nachts auch Light Coastal Forces der britischen Marine aktiv. Diese führten mit schnellen und wendbaren Motor Torpedo Boats (MTBs) und Motor Gun Boats (MGBs) Angriffe auf den nächtlichen deutschen Schiffsverkehr aus. In der Nacht vom 10. auf den 11. September 1942 fand der erste Angriff vor der Küste von Terschelling statt, wo das Vp1239 von einem Torpedo des MTB234 getroffen und mit 13 Schwerverletzten an Bord in den Hafen von Terschelling geschleppt wurde. Von dieser Nacht an bis Mitte 1944 wurden im Wattenmeergebiet, insbesondere zwischen Texel und Terschelling, mehrere Dutzend Seeschlachten ausgetragen. Während dieser Schlachten wurden 14 deutsche Schiffe versenkt oder schwer beschädigt, und ein MTB und ein MGB versenkt.

 

Neben direkten Luftangriffen wurde der Kampf um die Konvoirouten auch mit einer „stillen“ Offensive geführt. Im Schutz der Dunkelheit wurden während des Krieges fast jede Nacht ein paar bis hin zu 100 Bombern ins Wattenmeergebiet geschickt, um die Konvoirouten dort mit Magnetminen zu behindern. Die Minenlegung erfolgte unter dem britischen Codenamen Gardening, „Gärtnern“. Denn die magnetischen Minen wurden sozusagen in die deutschen Konvoirouten „gepflanzt“. Die verschiedenen Minenfelder wurden von den Briten nach (Meeres-)Früchten und Blumen benannt, wie Limpets (Napfschnecken, Den Helder), Trefoils (Kleeblätter, Texel), Mussels (Muscheln, Vlieland-Terschelling) und Nectarines I (Nektarinen, Terschelling-Ameland).

Karte der britischen Minenfelder im niederländischen Wattenmeergebiet, mit den dazugehörigen Codenamen. (Koll. Theo Boiten)

Täglich machten deutsche Minenräumer einen schmalen Korridor in den Konvoirouten frei, wobei bis zu einhundert Minen pro Tag geräumt wurden. Die mit Eisenerz beladenen Konvois mussten durch diese Korridore hindurchfahren. Trotz dieser aufwändigen Minenräumaktionen wurden im Laufe des Krieges mindestens 28 Schiffe Opfer von Minenexplosionen im niederländischen Wattenmeergebiet. Viele Minen wurden auch an den Stränden der Inseln angespült. Bei der Entschärfung dieser angespülten Minen ereigneten sich regelmäßig tödliche Unfälle. So explodierte Anfang Januar 1943 eine Mine am Nordseestrand von Vlieland und tötete das gesamte, 14 Mann starke, deutsche Entschärfungsteam.

 

Die relativ langsam und tief fliegenden britischen Minenleger waren für die deutschen Flakgeschütze auf den Watteninseln oft eine leichte Beute: Die Royal Air Force verlor zwischen 1940 und 1945 rund 100 Minenleger in diesem Gebiet, etwa 500 Flieger kamen dabei ums Leben.

Deutsche Minenräumaktion: Hinter einem Minenräumer der 4. Räumboot Flotille geht eine Mine im britischen Minenfeld vor der Küste von Terschelling mit einem ohrenbetäubenden Knall in die Luft. (Koll. Karl Köster)

Der 4528 Tonnen schwere schwedische Frachter „Sigyn“ wurde am 9. August 1942 vor der Küste von Texel von einer Minenexplosion getroffen. Es wurde versucht, das schwer beschädigte Schiff zum Hafen von Den Helder zu schleppen, aber das war nicht mehr möglich.Das Schiff wurde dann vor Den Helder auf Grund gesetzt und sank. (Koll. Alfons Borgmeier)

In der Geschichte der Frontlinie Wattenmeer können viele hundert Geschichten erzählt werden. Wir präsentieren hier 10 dieser Geschichten:

Selbstmord bei Tageslicht: die Blenheims, 1941

Am 15. Oktober 1941 fand im Rahmen der britischen Anti-Schifffahrtskampagne bei Tageslicht ein Routineeinsatz statt. Zwölf Blenheims wurden mit dem Auftrag entsandt, den Schiffsverkehr entlang der Watteninseln anzugreifen, fünf kehrten nicht zurück. Im Monat zuvor kam Sgt Eric Atkins als Pilot zur 139. Staffel. Am 15. Oktober flog er seinen ersten Einsatz in der Bristol Blenheim:

 

„Wir erhielten den Auftrag, den Schiffsverkehr knapp über der Insel Norderney anzugreifen. Von unserem Stützpunkt in Norfolk aus waren es 1.000 Kilometer hin und zurück. Uns wurde gesagt, dass es mindestens fünf deutsche Flugplätze in der Nähe gäbe und es entlang der Küste von Flakgeschützen wimmeln würde. Auch der deutsche Schiffsverkehr wurde von Flakschiffen verteidigt. Die Wetterprognose war sehr schlecht: tiefhängende Bewölkung und Nieselregen auf dem Großteil unserer Flugstrecke. Die Aussicht, dass wir bei unserem ersten Einsatz - in diesem schlechten Wetter - sehr genau und kontinuierlich tief über dem Meer fliegen und es mit einem schwierigen Gegner aufnehmen mussten, machte uns ziemlich Sorgen.

Ich musste die ganze Zeit mit den Augen blinzeln, um mich darauf zu konzentrieren, meine Höhe zu halten

Unsere Staffel startete mit insgesamt sechs Blenheims und flog in zwei V-Formationen zu je drei Flugzeugen. Wir mussten sehr tief über dem Meeresspiegel fliegen, um nicht von feindlichen Radaren entdeckt zu werden, und der vom Meer aufsteigende Sprühnebel schlug sich auf meine Cockpitfenster nieder und behinderte meine Sicht. Wegen der Wolken und des Regens war die Sicht nach vorne noch schlechter und ich bemerkte, dass ich fast hypnotisiert war von den Wellen, die schnell unter mir vorbeizogen, und von den Wolken, die tief über der Meeresoberfläche hingen - ich musste die ganze Zeit mit den Augen blinzeln, um mich auf meine Höhe und auf die Blenheims zu konzentrieren, die in meiner Nähe flogen.

 

Ich war voll und ganz auf meine Fluginstrumente und die anderen Flugzeuge konzentriert, als ich plötzlich das Knattern von Maschinengewehrfeuer auf meiner rechten Seite hörte, wo niemand flog. „Was zum Teufel war das?!“, schrie ich. „Sorry, Kumpel“, antwortete Bill aus seiner Geschützkuppel, „ich habe nur mal kurz meine Maschinengewehre getestet!“ Während wir uns dem angewiesenen Suchgebiet näherten, setzte meine Gruppe von drei Blenheims Kurs darauf, während die anderen drei in das neben uns gelegene Suchgebiet abdrehten. Sie verschwanden aus unserer Sicht und wir konzentrierten uns auf das Meer und die Bewölkung vor uns. Auf unserer rechten Seite sahen wir ein kleines Schiff. Das war ein „Spitzel“ - ein Schiff, das unsere Position per Funk an Schiffe und deutsche Jäger weitergab. Bill feuerte wie wild, als wir daran vorbeiflogen. Wir konnten nicht von unserer Flugroute abweichen und das Schiff zerstören, also hofften wir, dass Bills Feuer es so sehr beschädigt hatte, dass es unsere Anwesenheit nicht mehr „verpfeifen" konnte!

 

Wir verlegten unseren Kurs in unserem Suchgebiet etwas weiter nach Norden und ich sagte zu mir selbst: „Was für ein Scheißwetter. Selbst wenn wir ein Schiff sehen würden, dann würden wir es in diesem Nieselregen und bei der tief hängenden Bewölkung sofort wieder aus den Augen verlieren. Und so tief über dem Meer Runden zu fliegen und anzugreifen, bringt gar nichts.“ Doch genau in diesem Moment schrie der Anführer unserer Formation über Funk: „Pass auf, zwei Schiffe genau vor uns!“ Und da waren sie tatsächlich, eskortiert von zwei Flakschiffen. Wir hatten keine Zeit, an Höhe zu gewinnen und haben unsere Formation aufgelöst, um jeder für sich angreifen zu können.

Wir waren so dicht dran, dass ich dachte, die Augen des deutschen Kanoniers zu sehen!

Ich entschied mich für einen Heckangriff auf ein Schiff. Ich sah keine der anderen Blenheims mehr. Gerade als ich das Schiff im Visier hatte und meine Bomben abwarf, rief mein Navigator Jock: „Pass auf, eine Blenheim links neben dir!“ Ich zog meine Maschine ein Stück nach oben und die andere Blenheim schlüpfte unter mir hindurch. Bill sagte, dass unsere Bomben das Ziel um Haaresbreite verfehlt hätten und feuerte mit allem, was er hatte, auf das Schiff, das wir inzwischen hinter uns gelassen hatten.

 

Als ich über das feindliche Schiff hinweg flog, schien es, als würde ich direkt in den Lauf einer Oerlikon-Kanone starren, die auf uns schoss - wir waren so nah dran, dass ich dachte, die Augen des deutschen Kanoniers zu sehen! Ich erinnere mich noch gut daran, dass der Feind sehr ruhig und mit großem Geschick auf unseren Angriff reagierte - kein Anschein von Panik, sondern einfach eine stahlharte Reaktion auf einen weiteren Angriff. Wir versuchten, noch einmal zu wenden und erneut mit unseren Maschinengewehren anzugreifen, aber das Wetter wurde immer schlechter und unser Anflug gelang nicht richtig. Hoffentlich hatten wir doch noch etwas Schaden mit unseren Maschinengewehren angerichtet und die Bomben waren nahe genug am Schiff explodiert, um es ordentlich durchzurütteln. Vielleicht hatten die anderen mehr Glück. Der Anführer erteilte über Funk den Befehl: „Formation wieder einnehmen und zurück zum Stützpunkt.“

 

Alle drei Blenheims fanden einander schnell wieder und in Formation machten wir uns auf den Weg zurück. Es war geplant, dass die andere Formation der drei Blenheims ungefähr zu diesem Zeitpunkt wieder zu uns stoßen sollte, aber wir sahen nichts. Das konnte natürlich damit zu tun haben, dass sie weiter Richtung Osten geflogen waren als wir, und vielleicht waren sie unterwegs auch noch irgendwem begegnet.


Als wir wieder an unserem Stützpunkt ankamen, war von den anderen drei noch immer nichts zu sehen oder zu hören. Und hier endet die Geschichte - sie kamen nie zurück.Alle drei Flugzeuge - mit neun Fliegern - gingen als „vermisst“ in die Bücher ein.Eine Verlustquote von 50 Prozent auf meinem allerersten Einsatzflug, das machte mir ganz schön zu schaffen!Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich dachte: „Sie waren viel erfahrener als wir. Was für Überlebenschancen haben wir dann wohl!" Doch nun ja, die erste Überlebensregel lautet: „Ich bin hier mit heiler Haut herausgekommen und sorge dafür, dass das so bleibt!" Den ersten Einsatzflug hatten wir hinter uns. Aber die Erinnerung an dieses geballte Kampfdrama und den Verlust unserer Kameraden lastete auch in den nächsten Tagen noch schwer auf uns. Wir haben nie erfahren, was aus ihnen geworden ist."

Die Blenheim-Formation von Eric Atkins hatte sich bei dem schlechten Wetter im Suchgebiet geirrt. Obwohl sie glaubten, einen Konvoi bei Norderney angegriffen zu haben, befanden sie sich nördlich von Ameland. Dabei wurden keine nennenswerten Schäden verursacht. Zusätzlich zu den drei Blenheims der 139. Staffel, die nicht mehr nach Hause zurückkehrten, wurden zwei weitere Blenheims der 114. Staffel westnordwestlich von Den Helder Opfer deutscher Jäger. Unter den 15 Besatzungsmitgliedern gab es keine Überlebenden. 14 von ihnen gelten noch immer als vermisst.

Eine Bristol Blenheim der 18. Staffel rast vor der niederländischen Küste nur wenige Meter über den Wellen mit Spitzengeschwindigkeit auf einen deutschen Konvoi zu, irgendwann im Sommer 1941. (Koll. Monty Scotney)

Das alltägliche Risiko von Angriffen auf deutsche Schiffskonvois in Masthöhe wird auf dieser Fotografie bedrückend dargestellt. Die Blenheim V6034 der 21. Staffel verlor am 16. Juni 1941 die Hälfte ihres Flügels, als sie den Mast des Schiffes berührte, das sie bei Borkum angegriffen hatte. Die dreiköpfige Besatzung stirbt nur wenige Sekunden später beim Absturz in die Nordsee. Der Pilot Sgt Leavers wurde an der Groninger Wattenmeerküste angespült und in Den Andel begraben. (Koll. Jim Langston)

Unter den deutschen Schiffsbesatzungen fielen durch britischen Flugzeugbeschuss viele Tote und Verwundete. Hier sehen wir, wie der Körper eines 19-jährigen Matrosen eines Flakschiffes, der bei einem Beschuss am 10. August 1941 ums Leben kam, in die Kapitänskabine getragen wird. (Koll. Frädrich)

16. September 1941.Um nicht von deutschen Radaren und Jägern entdeckt zu werden, fliegt eine Blenheim-Formation vor der Küste von Texel wie üblich wenige Meter über dem Meeresspiegel. Ein kleiner Steuerfehler ist dabei sofort fatal. Nur wenige Augenblicke nach dem Aufnehmen dieses Fotos berührt der Bauch der Blenheim V6339 der 18. Staffel die Wellen und sie stürzt ins Meer. Der Pilot Sgt Tracey wurde später am Strand von Texel angespült und liegt in Den Burg begraben. Zwei seiner Besatzungsmitglieder werden noch immer vermisst. Der Mann, der dieses Foto schoss, der Bordschütze Sergeant Scotney, erinnert sich: „Die Flüge entlang der Watteninseln waren meist recht lang und wurden ohne den Schutz von Jägern durchgeführt. Zu unserer Sicherheit flogen wir während der gesamten Operation sehr tief, unterhalb der Erkennungshöhe der deutschen Radare, also nie höher als etwa zehn Meter über dem Meeresspiegel. Auch wenn wir keine schwer bewaffneten Schiffe sahen, die wir angreifen konnten, bestand dennoch jederzeit die Gefahr feindlicher Jäger. Ich hatte immer Angst, diesen Messerschmitts zu begegnen, die mit Bordkanonen bewaffnet waren und außerhalb der Reichweite meiner Maschinengewehre einen zerstörerischen Angriff verüben konnten."  (Koll. Monty Scotney)

Die australische Wellington und der Leuchtturm von Ameland

Am Nachmittag des 14. Januar 1943, nach Einbruch der Dunkelheit, flogen sieben Wellington-Bomber der 466. australischen Staffel zur Nordküste Amelands, um dort jeweils zwei Magnetminen in die deutsche Schifffahrtsroute zu werfen. Einer dieser Bomber, die Wellington HE152, geflogen von Sgt Babington, wurde im Zielgebiet vom Flakfeuer der 5. und 6. Batterie der Marineflakabteilung 246 auf Terschelling getroffen und stürzte 18 Minuten vor 6 Uhr in unmittelbarer Nähe von Ameland in die eiskalte Nordsee. Alle sechs Besatzungsmitglieder kamen ums Leben. Einer von ihnen, der kanadische  F/Sgt Stewart wurde später am Strand von Vlieland angespült. Seine fünf Kameraden gelten bis heute als vermisst. Ein deutscher Soldat auf Terschelling gab noch am gleichen Abend eine Erklärung ab, aufgrund derer der Sieg schließlich der Marineflakabteilung 246 zuerkannt wurde: 

„Ich hörte am 14.1.43 um 17.40 Uhr ein feindliches Flugzeug, das sich aus Richtung Südwesten näherte und in nordöstlicher Richtung weiterflog. Dieses Flugzeug wurde von der Westbatterie unter Beschuss genommen, von einem Soldaten der Tiger-Stellung mit seinem Gewehr und dann auch noch von der Ostbatterie beschossen. Etwa eine halbe Minute nachdem der letzte Schuss gefallen war, um 17.42 Uhr, hörte ich in einem Winkel von 90 Grad unter mir einen dumpfen Schlag. Danach verstummten die Geräusche der Flugzeugmotoren.“

Ein Flieger der 466. Staffel, P/O Don Bateman, hat eine bemerkenswerte Geschichte zu dieser Mission:

 

„Am 14. Januar 1943 wurde mir befohlen, zwei Minen von je 1500 Pfund vor der Küste von Ameland abzuwerfen, und zwar in der Nähe des Leuchtturms. Das Wetter war schrecklich. Eine dichte Wolkendecke hing bis zu 400 Meter über dem Meer. Als wir bei den friesischen Watteninseln ankamen, konnten wir gerade noch die Linie der Brandung am Nordseestrand von Ameland erkennen. Während wir auf der Suche nach dem Leuchtturm entlang der Insel flogen, wurden wir mehrmals beschossen. Also beschloss ich, zur nordwestlichen Spitze von Ameland zu fliegen, dann entlang der Brandungslinie und nach einer bestimmten Anzahl von Sekunden ins Landesinnere abzudrehen.

 

Gerade als wir eine solche Kurve geflogen waren, blitzte unerwartet eine Lichtsäule auf. Das alles dauerte etwa zwei Sekunden und in diesem plötzlichen Lichtermeer konnte ich die Umrisse des Leuchtturms erkennen. Mit Hilfe dieses Orientierungspunktes wendete ich und flog direkt zu der uns angewiesenen Stelle und wir ließen unsere Minen bei extrem schlechtem Wetter fallen.

 

Als wir zu unserem Stützpunkt in England zurückkehrten, war die ganze Crew sich einig, dass der Leuchtturmwärter von Ameland bewusst sein Leben riskiert hatte, um uns zu helfen. Und so beschlossen wir, diese Tat auf der Nase unseres Flugzeuges zu verewigen. Schräg unter dem Cockpit wurde ein Vogel gemalt, der den Leuchtturm von Ameland unter seinen Flügel geklemmt hat. Dieser Vogel sollte einen Kookaburra verbildlichen (bei uns besser bekannt als Lachender Hans), eine in Australien weit verbreitete Vogelart.“

Illustration aus einem Kriegspropagandaheft der Royal Air Force. Darauf ist zu sehen, wie ein Hampden-Minenleger eine Mine tief über dem Meer abwirft. (Koll. Theo Boiten)

Bild auf der Nase der Wellington der 466. Staffel, geflogen von P/O Don Bateman: der australische Kookaburra mit dem Leuchtturm von Ameland unter seinen Flügeln.Don Bateman erzählt: „Die Reihe von Bomben neben dem Kookaburra steht für die Anzahl der Bombenflüge, die diese Wellington geflogen ist.Ein „Pilz“ über einer Bombe symbolisiert einen Gardening-Flug - der „Pilz“ soll einen Fallschirm darstellen, der an der Seemine befestigt war, die wir auf einer Höhe von genau 230 Metern abwarfen. Das erste Bombensymbol links oben gehört zu dem Einsatz bei Ameland.“

Strike Wings. Die Reede von den Helder - das Drama des R131

Durch den Würgegriff der britischen Luft- und Seestreitkräfte auf den Konvoirouten im Wattenmeergebiet waren die Deutschen ab Anfang 1944 gezwungen, ihre Schiffskonvois immer häufiger nachts entlang der Watteninseln nach Rotterdam fahren zu lassen. Im Morgengrauen suchten die deutschen Konvois dann Schutz auf der Reede Den Helder und fuhren in der folgenden Nacht weiter.

 

Am 21. Februar 1944 schaffte es ein Schiffskonvoi nicht rechtzeitig, den schützenden Ankerplatz zu erreichen. Ein britisches Aufklärungsflugzeug entdeckte bei Texel einen Konvoi, der von Cuxhaven nach Rotterdam unterwegs war, woraufhin ein Strike Wing von 36 Beaufightern unter Begleitung von Spitfire-Jägern nach Texel eilte. Die dreizehn deutschen Schiffe wurden am frühen Morgen genau um Viertel vor 9 Uhr angegriffen. Die Beaufighter tauchten aus einer tief hängenden Wolkendecke auf und griffen die Schiffe mit mörderischem Kanonenfeuer und Bomben an.

 

Das vordere Räumboot (kleiner Küsten-Minenräumer/kleines Begleitschiff) des Konvois wurde von 2-cm-Geschoss durchsiebt, woraufhin eine Beaufighter aus etwa 50 Metern Höhe eine Bombe abwarf. Die Bombe durchbohrte das Schiffsdeck und explodierte im Munitionsraum. Dabei wurden das Schiffsdeck und eine 2-cm-Flak auf dem Heck von der Feuersäule zerschlagen und ein heftiges und unkontrollierbares Feuer brach aus.

 

Zwei Besatzungsmitglieder des R131 starben während des Angriffs, 14 wurden verletzt. Nach 20 Minuten war der Laderaum des Schiffs mit Wasser geflutet und wurden die Überlebenden vom R103 aufgenommen. Um 10 nach 9 verließen der Kapitän Lt. Kurt Fulst und der Kommandant der 9. Räumflotille KaptLt. Joachim Fock als Letzte das Schiff, kurz bevor die Treibstofftanks des Schiffs explodierten und die Spitze des Bugs des R131 schließlich in den Wellen der Nordsee verschwand.

 

Obwohl die britischen Beaufighter-Crews auch berichteten, dass ein Handelsschiff in dem Konvoi südwestlich von Texel schwer beschädigt zurückgelassen wurde, kann dies aus deutschen Quellen nicht bestätigt werden. Einer der Angreifer, eine Beaufighter JM103 der 143. Staffel, wurde bei dem Konvoi abgeschossen; eine zweite Beaufighter wurde von der deutschen Schiffsflak so stark beschädigt, dass sie bei ihrer Rückkehr nach England abgeschrieben wurde.

 

Der Mech.OGefr. Johann Jenk diente an Bord des R131 als Sperrmixer (Minenspezialist) und erinnert sich noch gut an den Untergang seines Schiffes:

„Im Januar 1944 nahmen wir unseren Dienst bei der Flotille in Den Helder auf. Zuerst haben wir einige Minenräumarbeiten durchgeführt und dann wurde uns die Aufgabe übertragen, einen großen Sperrbrecher (Minensuchschiff) südlich von Helgoland abzuholen und zusammen mit einer Reihe anderer Minenräumer in Richtung Rotterdam zu eskortieren. Mein Boot, das R131, war das führende Schiff auf der Steuerbordseite des Konvois. Eines der Schiffe hatte einen Motorschaden, also mussten wir unsere Geschwindigkeit auf etwa 15 Knoten reduzieren. Infolgedessen konnten wir die sichere Reede von Den Helder im Schutz der Dunkelheit nicht vor mehr vor Tagesanbruch erreichen.

Zusammen mit drei Kameraden wurde ich ins Meer geschleudert und verlor das Bewusstsein

Plötzlich, etwa 15 Seemeilen vor unserer Ankunft in Den Helder, tauchten ungefähr vierzig Jagdbomber aus der tief hängenden Wolkendecke auf und wir wurden angegriffen.Mein Boot, das R131, war dem Rest des Konvois knapp voraus und bekam die volle Ladung ab, es fing sofort Feuer.Ein 2-cm-Geschoss schlug Sohle und Absatz meines linken Stiefels heraus und ich fiel aufs Deck.In diesem Moment flog ein britisches Flugzeug aus Richtung Steuerbord auf uns zu, feuerte aus all seinen Kanonen und warf - als es über uns hinwegflog - eine Bombe direkt in den Munitionsraum.Die Bombe explodierte mit einem enormen Knall und verwandelte das Achterdeck in ein einziges großes Flammenmeer.Zusammen mit drei Kameraden wurde ich ins Meer geschleudert und verlor das Bewusstsein.Im kalten Wasser kam ich wieder zu mir.In einiger Entfernung sah ich ein etwa 3 bis 5 Meter langes Brett schwimmen, das aus der Backbordseite unseres Schiffes herausgeschlagen worden war.Gemeinsam mit dem Masch.OGefr. Herbert Schulz gelang es mir, zu dem Brett zu schwimmen, sodass wir uns in Sicherheit bringen konnten.

 

Unterdessen explodierte die Munition an Bord des R131 kontinuierlich. Dadurch war es für andere Schiffe zunächst zu riskant, sich uns zu nähern. Erst nach einer ganzen Weile konnten die Verwundeten über den Bug gerettet werden.

Mein Kamerad heulte vor Schmerzen und schrie immerzu nach seiner Mutter

Ein großer Bombensplitter hatte das Knie meines Kameraden zerschmettert. Ich legte ihm eine improvisierte Aderpresse um den Oberschenkel an. Mein Kamerad heulte vor Schmerzen und schrie immerzu nach seiner Mutter. Zuerst versuchte ich, ihn mit freundlichen Worten zu beruhigen, um zu verhindern, dass er in einen Schock verfällt. Doch das half alles nicht. Dann zog ich mein Messer heraus und schrie ihn an, dass ich ihn töten würde, wenn er sich nicht wie ein echter deutscher Seemann verhielte. Er beruhigte sich daraufhin, wahrscheinlich aus purer Angst.

 

Nachdem die britischen Angreifer verschwunden waren, kam das R88 herangefahren und wollte man uns aus dem Wasser ziehen.Während das R88 mit hoher Geschwindigkeit auf uns zukam, schrie ich Herbert Schulz an:‘Lass dich von dem Brett rutschen und schwimm weg!’Meinen lahmen linken Fuß ließ ich hinter mir hängen.Kurz bevor der Bug des R88 mein Brett erreicht hatte, sprang ich auf und ergriff die Kante des Bugs und klemmte meinen rechten Fuß an einen Fender.Hätte ich das nicht geschafft, wäre ich von der Schraube des Voith-Schneider-Motors überfahren und in Stücke gerissen worden.Allerdings gelang es mir danach nicht, mich an Bord zu hieven.Deshalb wurde ein Schlauchboot zu Wasser gelassen, in das ich mich rückwärts fallen ließ.Ich hatte den kaputten Fahnenmast mit der Flagge des R131 dabei und übergab diesen, bevor ich an Deck des R88 kletterte, an OStrm. Mottinger.

 

Die Wunden an meinem Oberschenkel und Fuß wurden verbunden, und noch in meinen nassen Sachen wurde ich in Decken gewickelt und auf den Kartentisch gelegt. Erst jetzt verlor ich die Nerven und begann, am ganzen Körper zu zittern. Kameraden des R88 gaben mir zwei Tassen Tee mit Rum (zwei Drittel Rum und ein Drittel Tee). Danach ging es mir schnell besser. Ich rauchte ein paar Zigaretten und konnte schon wieder schmutzige Witze erzählen.

 

Beim Hafenarzt von Den Helder angekommen, bat ich darum, mir die nassen Kleider auszuziehen. Ich wurde in warme Decken gewickelt und ins Krankenhaus von Heiloo bei Alkmaar gebracht. Insgesamt waren bei dem Angriff am 21. Februar 50 Mann verwundet worden. Bei meinem Kameraden Schulz wurde am 23. Februar das linke Bein über dem Knie amputiert.“

Von links nach rechts: F/Sgt Caron (Pilot) und sein Navigator/Funker F/Sgt. Pollard. Diese beiden französischen Flieger der Beaufighter JM109 der 143. Staffel wurden während des Angriffs am 21. Februar 1944 von deutschen Schiffsflaks angeschossen. Caron machte eine erfolgreiche Notlandung auf See, ganz in der Nähe des deutschen Konvois, woraufhin einer der Männer in ein Schlauchboot klettern konnte.Danach hat man von diesen beiden Franzosen nichts mehr gehört. Sie gelten bis heute als vermisst. (Koll. Art Edwards)

Unmittelbar nach dem Angriff des Strike Wing vom 21. Februar 1944 fährt ein Räumboot längsseits des in dichten Rauch gehüllten Vorschiffs des R131, um Überlebende aufzunehmen. (Koll. Theo Boiten)

Mech.OGefr. Johann Jenk, Sperrmixer in der Besatzung des R131, der den Untergang seines Räumbootes am 21. Februar 1944 verwundet überlebte. (Koll. Johann Jenk)

MTBs und MGBs - die Seeschlacht bei Ameland

In der Nacht vom 30. September auf den 1. Oktober 1942 führten neun britische MTBs und MGBs, unter der Führung von Lt. Peter G.C. Dickens DSO, von der Landseite nördlich von Ameland her kommend einen Überraschungsangriff auf einen in westlicher Richtung fahrenden deutschen Schiffskonvoi aus. Der Konvoi bestand aus acht Handelsschiffen mit einer Eskorte von fünf umgebauten bewaffneten Trawlern der 13. und 20. Vorposten Flottillen. Nach Angaben der Deutschen wurden in dieser Seeschlacht 5 Angreifer zum Sinken gebracht und zwei weitere schwer beschädigt. Tatsache ist jedoch, dass das MGB18 von Leutnant Smythe vom Flugabwehrfeuer des Vp2003 oder des Vp1300 schwer getroffen wurde, woraufhin es mit dem MGB82 kollidierte. Lt. Smythe beschloss daraufhin, sein Schiff in Brand zu setzen - um zu verhindern, dass es in die Hände der Deutschen fällt - und verließ das Schiff mit seiner Crew. Der Kommandant eines anderen MGB wurde durch einen Granateneinschlag auf seiner Brücke sofort getötet. Rating Joseph Metcalfe, der seit September 1941 als Vickers-Schütze an Bord des MGB18 gedient hatte, erinnert sich an den Untergang seines Schiffes:

„MGB18 wurde von der British Power Boat Company gebaut, war 70 Fuß lang und wurde von drei 1300 PS starken Packard-Benzinmotoren mit drei Schrauben und drei Rudern angetrieben. Die Bewaffnung des Bootes bestand aus zwei .303 Lewis-Maschinengewehren, die auf beiden Seiten des Steuerhauses positioniert waren, und einer Geschützkuppel über dem Maschinenraum, die ein doppeltes .50 Vickers-Maschinengewehr enthielt. Auf dem Achterdeck stand eine 20-mm-Oerlikon-Kanone mit Wasserbomben auf beiden Seiten. Die Besatzung bestand aus zwei Offizieren und acht Matrosen. Wir waren ein fröhliches und sehr effizientes Team und ich fühlte mich geehrt, dass ich dazugehörte.

 

Zusammen mit MTBs wurden wir zu Schiffskonvois geschickt, und das meist erfolgreich.Unser „Arbeitsgebiet“ waren die friesischen Watteninseln, IJmuiden, Texel und Terschelling.Darüber hinaus führten wir auch offensive „Streiche“ entlang der feindlichen Küste aus, aber dann ohne MTBs.Meistens fuhren wir dann mit vier MGBs und wir griffen jedes feindliche Schiff an, das wir zu sehen bekamen.Manchmal wurde es schon sehr langweilig und ärgerten wir uns, weil wir keiner Menschenseele begegneten.Bekamen wir doch ein feindliches Schiff vor die Nase, dann führten wir einen rasend schnellend Angriff aus.Meine Aufgabe als Schütze war es, den Feind mit der .50 zu beschießen, nachdem unser Kapitän uns näher an ihn herangeführt hatte.

 

Diesmal wurden wir angewiesen, einen kleinen Konvoi von Frachtschiffen anzugreifen. Wir trafen uns mit den MTBs, um die Angriffstaktik zu besprechen. Nach der Besprechung fuhren sie weg und nahmen eine Position zwischen der Küste der Watteninseln und dem Konvoi ein. Zu einem vorab vereinbarten Zeitpunkt griffen wir mit fünf MGBs in voller Geschwindigkeit an, um die deutschen Begleitschiffe abzulenken und sie zu beschäftigen, während die MTBs ihren Torpedoangriff durchführten - und das war ein voller Erfolg.“  

Das Begleitschiff Vp2003 und der deutsche Frachter ‘Thule’ wurden beide von Torpedos versenkt, wobei 21 Mann ums Leben kamen, die Hälfte der Besatzung des Vp2003. Keiner der Männer konnte begraben werden. Nur ein Besatzungsmitglied der ‘Thule’ überlebte; zehn Männer wurden nie gefunden.

 

Joseph Metcalfe fährt mit seiner Geschichte fort:

„Wir griffen die Eskorte aus sehr kurzer Entfernung an und verloren neun oder zehn Fuß von unserem Vorschiff; sei es, weil wir gerammt wurden oder wegen eines Granateneinschlags, ich weiß es nicht, weil ich viel zu beschäftigt damit war, auf den Feind zu schießen. Es war sofort klar, dass wir das MGB18 verlassen mussten. Von Panik keine Spur, wir waren eine sehr effiziente und erfahrene Crew und konnten mit jeder Situation umgehen.Alle taten ruhig das, was sie tun mussten, um sich auf die vollständige Zerstörung des Schiffes vorzubereiten.Unser lahmgelegtes Schiff lag eine Weile so da, bis Lt. Peter Dickens mit seinem MTB neben uns gefahren kam und uns an Bord nahm, während er noch beschossen wurde. Unser Kapitän Lt.Smythe ging unter Deck, brach die Treibstoffleitung und zündete sie an, woraufhin er als letzter das Schiff verließ. Glücklicherweise hatte unsere Crew keine Verwundeten oder Toten zu beklagen.“

Rating Joseph Metcalfe, Vickers .50-Schütze auf dem MGB18.Dieses Foto entstand zwei Wochen bevor das MGB18 in der Nacht vom 30. September auf den 1. Oktober 1943 vor der Küste von Ameland versenkt wurde. (Koll. Joseph Metcalfe)

Einer der Männer, der die deutsche Seite der Seeschlacht bei Ameland beleuchten kann, ist der Matrose Bernard Torzynski. An diesem Abend erlebte er seinen ersten Begleiteinsatz, als Schütze an Bord des Vp1313: 

 

„Ende September fuhren wir mit unserem brandneuen Schiff nach Cuxhaven, wo ein Konvoi zusammengestellt wurde, der am Morgen des 30. September Segel nach Rotterdam setzte.Unsere Position im Konvoi war hinten rechts.Ich bemannte die 8,8-cm-Kanone vorne auf unserem Schiff.Wir hatten keinen Blechschutz rund um die Kanone, sie stand komplett offen an Deck.Kurz vor Mitternacht hörten wir Triebwerksgeräusche von Flugzeugen, woraufhin Fallschirmfackeln über unserem Konvoi fallen gelassen wurden.Danach begann das ‘Feuerwerk’.Wir schossen selbst Leuchtgranaten, um den Feind sehen zu können.Links von unserem Schiff hörte ich den Knall einer Explosion; später wurde mir berichtet, dass ein Schiff der 20. Vorposten Flotille zum Sinken gebracht worden war.Auf unserer linken Seite fuhr auch das Frachtschiff ‘Thule’.Mir war schon aufgefallen, dass auch zwei Frauen an Bord dieses Schiffes waren.Unser Steuermannsmaat Erwin Baumgardt wich zwei Torpedos aus, ohne dass man ihn dazu angewiesen hatte.Wenn er das nicht getan hätte, wäre das 1313 auf seiner ersten Fahrt auf dem Boden der Nordsee gelandet.Nichtsdestotrotz erhielt unser Steuermann später von unserem Kapitän Oberleutnant Egon Tellgmann eine offizielle Verwarnung, weil er ohne Befehl gehandelt hatte.

Ich hörte einen der Richtschützen schreien: Lade die Kanone, mach schon!

Ich kann mich nicht erinnern, ob unsere fünfköpfige Geschützbesatzung zuerst im feindlichen Feuer verwundet und danach das Frachtschiff ‘Thule’ torpediert wurde oder umgekehrt.Wie dem auch sei, der Frachter brach in zwei Teile - nur ein Mann überlebte, weil er es schaffte, sich an den Mast zu klammern.Nachdem wir alle fünf verwundet worden waren, waren nur noch zwei Männer in der Lage, einen Teil der Kampfhandlungen fortzusetzen, ein Richtschütze und der Anführer der Geschützbesatzung.Letzterer zog den verwundeten zweiten Richtschützen von seinem Sitz und übernahm seine Aufgaben.Genau in diesem Moment raste ein britisches MGB genau an unserem Bug vorbei.Ich hörte einen der Richtschützen schreien:‘Lade die Kanone, mach schon!’, aber keiner von uns war mehr in der Lage dazu, weil vier Mann schwer verwundet waren.Ich war von einem Schuss in die linke Schulter getroffen worden, konnte aber noch stehen.Ich kann heute nicht mehr sagen, ob es Angst oder Mut war, die mich antrieben, aber ich stand auf, packte eine 8,8-cm-Granate, schob sie in den Kanonenlauf und rief meinem Anführer zu:‘Geladen!’ Ich sah direkt vor meinen eigenen Augen, dass die Granate das MGB getroffen hatte.

 

Zwei Tage später sprach mein Kommandant im Radio in der Sendung ‘Nachrichten von der Front’ und nannte auch meinen Namen. Natürlich hat mich das mit Stolz erfüllt, aber heute bin ich froh, dass die Besatzung des britischen Schiffes gerettet wurde, denn wer will schon seinen Sohn oder Vater verlieren?“

Ein MTB feuert in voller Geschwindigkeit seine beiden Torpedos gleichzeitig ab. (Koll.Theo Boiten)

Ölgemälde der nächtlichen Seeschlacht bei Ameland in der Nacht vom 30. September auf den 1. Oktober 1942. Die beiden Geschützkuppeln auf dem Vorschiff des Begleitschiffes Vp1313 feuern aus sehr kurzer Entfernung auf das MGB18, während das mit Eisenerz beladene, 2533 Tonnen schwere Handelsschiff ‘Thule’ in der Mitte von einem Torpedo getroffen wird. (Koll. Bernard Torzynski)

Die vergessene Geschichte des Wattenmeergebietes